Für den 3. Mai 2012 um 10.00 Uhr hatte der
Bürgermeister zu einem Gespräch am »runden Tisch« ins Rathaus nach
Niederfrohna eingeladen. Schwerpunkte des Meinungsaustausches waren Fragen der
unzureichender werdenden Finanzausstattung der Gemeinden und die Bewertung der
fortdauernden staatlichen Bestrebungen, Gemeinden mit weniger als
5.000 Einwohnern (oder in Großstadtnähe mit weniger als 8.000 Einwohnern)
alsbald aufzulösen.
Der Einladung waren u.a. neun Bürgermeister benachbarter und ebenfalls davon
betroffener ländlich geprägter Gemeinden sowie drei Landtagsabgeordnete der
zugehörigen Wahlkreise gefolgt, ein Landtagsabgeordneter hatte einen
Vertreter entsandt. Anwesend waren auch der Niederfrohnaer Gemeinderat Stefan
Frünke und einige Vertreter kleiner Behörden und Einrichtungen.
Die vom Niederfrohnaer Bürgermeister moderierte Diskussion war sehr sachlich
und offen verlaufen. Zusammengefasst vertritt der Bürgermeister mit seinen
Amtskollegen folgende Meinung:
1. |
Die Sächsische Landesregierung hat mit dem Landesentwicklungsplan wieder
ein Gedankengebäude vorgelegt, welches eine Neuordnung des Landes in der
Zukunft ausschließlich vor dem Hintergrund der seit 20 Jahren in Dresden
herrschenden Ideen vorsieht. Begründet werden die zentralistischen
Zielstellungen mit Bevölkerungsrückgang und zu erwartenden Einsparungen. |
2. |
Mit diesen Begründungen wurden seit 1990 aber schon vier Verwaltungs- und
Gebietsreformen durchgeführt. Wenn die proklamierten Ziele damit erreicht
worden wären, hätte eine Reform gereicht. Dem Anschein nach führten jedoch
alle Reformen bislang nicht zu den verkündeten Einsparungen. Öffentliche,
nachvollziehbare Auswertungen der Reformen dazu gibt es, trotz zahlreicher
Anfragen, nicht. |
3. |
Sollten alle bisherigen Reformen in Sachsen nicht zu Einsparungen geführt
haben, dann sind entweder Einsparungen nicht das Ziel der Reformen oder die
bisherigen Reformansätze sind ungeeignet oder beides. |
4. |
Wenn die Einsparungen nicht das Ziel der Reformen sind, dann sollte es die
Landesregierung offen zugeben und die wahren Ziele nennen. |
5. |
Wenn jedoch die Einsparungen mit den bisherigen Mitteln nicht erreicht
werden, dann sollte man keine Angst vor einem Richtungswechsel haben. |
6. |
Nach dem Gesetz hat der Gesetzgeber die kommunale Selbstverwaltung
sicherzustellen. Bislang geschieht das über ein kompliziertes Umlageverfahren.
Fast alle Steuern werden zentral eingenommen und nach einem zentralistisch
geprägten Plan an die Kommunen teilweise zurückgegeben. Der Anteil der
Steuerzuweisungen an eine Gemeinde wird von ihrer Einwohnerzahl abhängig
gemacht. Die Höhe der Zuweisung steigt aber nicht proportional, sondern
exponentiell zu den Einwohnerzahlen. |
7. |
Die Maßgabe für die Art der Steuerverteilung ist das Allgemeinwohl. Der
ungewollte Effekt einer solchen Vorgehensweise ist aber, dass große Gemeinwesen
von echten Effektivierungen abgehalten werden. |
8. |
Wenn man in den nächsten Jahren mit einer zurückgehenden Bevölkerung in
Sachsen rechnen kann, dann werden sich mit der bisherigen Methode der
Steuerrückzahlungen drastische Unterschiede insbesondere zwischen den drei
Großstädten und dem ländlichen Raum auftun. Bequemlichkeit,
Unüberschaubarkeit und Misswirtschaft würden gestärkt und tatsächliche
Eigenverantwortung, wie man sie auch in kleinen Gemeinden findet,
behindert. |
9. |
Wenn man sich aber tatsächlich auf die Zukunft einstellen wollte, dann
müsste man Selbständigkeit, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung stärken.
In diesem Lichte ist die Frage, ob nicht kleine Gemeinden jetzt schon effektiver
arbeiten als Großverwaltungen. |
10. |
Es müssten also öffentlich und nachvollziehbar Kriterien für soziale
Effektivität erarbeitet und die Städte und Gemeinden daran gemessen werden.
Wie im Sport, so kann man in der Kommunalen Selbstverwaltung Leistungen nur auf
der Basis realistischer Messungen verbessern. |
11. |
Qualität von Sozialwesen ist aber nicht zahlenmäßig – etwa nach
Fachbeamten – oder geldmäßig messbar. Abgesehen davon sind hier bloß
quantitative Effektivitätserwägungen fehl am Platze. Die Bildung von
Großgemeinden ohne »Not« verletzt den Kernbereich der kommunalen
Selbstverwaltung, also ein nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland
garantiertes Recht. Dabei geht die Identifikation der Einwohner mit der
Heimatgemeinde verloren. Es entstehen Gemeinden oder Verwaltungseinheiten ohne
örtliche Gemeinschaft. Das widerspricht der bundesverfassungsgerichtlich
festgestellten Funktion der Gemeinde als »Eigenverwaltung« der »örtlichen
Gemeinschaft«, die der Selbstbestimmung der Gemeindebürger dienen soll. |
12. |
Zudem steht das Grundgesetz für die freie Entfaltung des Individuums. Ihm
geht es nicht um das »Größere« und um »höhere Ideale«, verklärt als
»Allgemeinwohl«. Leben findet klein, vor Ort und ganz konkret statt – nicht
allgemein, kollektiv und irgendwo. Zentralisierung als grundsätzliches Ziel hat
längst ausgedient! Sie mag zwar zunächst als beruhigend, zweckdienlich und
vereinfachend erscheinen – über kurz oder lang lähmt sie aber jede
Entwicklung. |
13. |
Der tiefe Sinn der kommunalen Selbstverwaltung besteht in einem Wettstreit
von Gemeinden. Der Staat darf lediglich als Rechts- und Fachaufsicht eingreifen.
Zweckmäßigkeitserwägungen gehen ihn nichts an. Man käme auch nicht (mehr)
auf den Gedanken, alle kleinen und mittelständischen Unternehmen kurzerhand per
Gesetz den großen Betrieben einzuverleiben – etwa weil man sie generell für
nicht mehr zeitgemäß, für unproduktiv oder eine Mindestzahl an Angestellten
für unabdingbar hält – oder von oben herab an Stelle der »Kleinen«
unternehmerische Entscheidungen zu fällen. Leben muss sich aus sich selbst
heraus organisieren. Dies kann nicht annähernd so gut aus der Ferne und durch
Unbeteiligte geschehen. Vielfalt, Verantwortung für das eigene Handeln,
persönlicher Einsatz, Erfinder- und Organisationsgeist gingen sonst
verloren. |
14. |
Die Verbundenheit der Bürger mit ihrer Verwaltung, die unmittelbare
Betroffenheit sowie die einfache und direkte Möglichkeit der individuellen
Willensäußerung und Mitgestaltung sind die Basis für dauerhafte Demokratie.
Eine solche »Basisdemokratie« ist das größte Hemmnis für massenhafte
Ausbreitung extremistischer und stark populistischer politischer
Bewegungen. |
15. |
Das flächenmäßig und von der Einwohnerzahl her sehr kleine Bundesland
Sachsen nennt sich wohl nicht ohne Grund »Freistaat«. Es geht ihm sicher in
besonderem Maße um Souveränität, Identität und Selbstbewußtsein.
Rationalisierungs- und Effektivitätserwägungen als Begründung für seine
Auflösung in einem größeren und schon deshalb besseren Gebilde verschließt
er sich. Statt dessen beharrt er auf der bestehenden altmodischen
kleingliedrigen und umständlichen föderalen Struktur des Bundesgebietes. Warum
meint der (kleine) Freistaat, seine guten Argumente für seine Eigenständigkeit
gälten nur für ihn selbst? Warum kann er keine ebenfalls weitgehend
selbständigen kleinen sächsischen Gemeinden – also gewissermaßen
»Freigemeinden« – dulden? Für sie gilt dasselbe. (120523-ae) |
Wie denken unsere Niederfrohnaer Bürger darüber? Schreiben Sie an die
Gemeindeverwaltung. Der Bürgermeister wird die eingehenden Äußerungen an den
Landtagsabgeordneten Jan Hippold weitergeben. Für den September ist eine
Wiederholung des »runden Tisches« in Niederfrohna geplant.