Niederfrohna im Gespräch

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, die Gemeinde Niederfrohna ist eines der letzten selbständigen Dörfer in unserem Kreis, welche Besonderheiten hat Niederfrohna?

Grundsätzlich haben wir eigentlich viele Gemeinsamkeiten mit anderen Gemeinden in unserem Kreis. Aber das dürfte den Lesern bekannt sein, denn wir hatten bereits einmal Gelegenheit uns im Amtsblatt vorzustellen. Wenn man eine wichtige Besonderheit nennen will, dann muss man sagen, dass die politische Willensbildung in unserer Gemeinde seit 1990 mehrheitlich von den freien Wählern bestimmt wird. Deshalb konnten wir uns seit 1990 auf die Lösung von Sachproblemen konzentrieren. Parteienstreit und ideologische Scheuklappen sucht man bei uns vergeblich.

Wie bildete sich diese Konstellation heraus?

Die Zeit der politischen Wende von 1989/90 war für uns eine Zeit des Aufbruchs. In Niederfrohna erhoben sich damals viele Bürger, wie auch in anderen Städten und Gemeinden, und stellten sich die Frage, ob das ausgediente System der sozialistischen DDR nicht zu verändern wäre.
Auch in Niederfrohna haben wir beizeiten eine Bürgerinitiative ins Leben gerufen. Der Spiritus Rector war unser Pfarrer Frank Jung. Es wurden Versammlungen, Friedensgebete und Kundgebungen in Niederfrohna organisiert. Zahlreiche Niederfrohnaer nahmen auch an Kundgebungen in ändern Städten teil, von Limbach bis Leipzig. Es war eine echte Aufbruchsstimmung, wir waren mit Elan und Begeisterung bei der Sache. Doch viele der damaligen Aktiven hatten sich ursprünglich nicht erträumt, dass aus dieser Bewegung die Wiedervereinigung beider deutscher Staaten, einschließlich der Besiegelung der Alliierten erwachsen konnte. Um so größer waren die Erwartungen und Hoffnungen der Menschen, nicht nur hinsichtlich des Wohlstandes der Bundesrepublik, sondern gerade auch hinsichtlich der freiheitlich-demokratischen Werte. Alles konnte nur besser werden.

Wie haben sie den Beginn der 1990er Jahre in Erinnerung?

Die ersten Jahre waren für uns geprägt von den Herausforderungen des neuen Systems und des gegenseitigen Kennenlernens: was können wir, was können die anderen usw. nach einem ersten Überblick wurde in unserem Gemeinderat der Wille geboren, so schnell wie möglich die Infrastruktur im Ort zu erneuern und auf ein modernes Niveau zu bringen. Das stand in unserer Prioritätenliste ganz oben. Wir nutzten damals, wie viele andere Gemeinden auch, jeden Fördertopf, der uns angeboten wurde. Frühzeitig nahmen wir Verbindung mit dem Amt für ländliche Neuordnung in Oberlungwitz auf. Gestützt auf die Erfahrungen des Landwirtes Dr. Günter Hofmann, der solche Verfahren in Schleswig-Holstein selbst und durchgeführt hatte, setzten wir das Flurneuordnungsverfahren in Gang. Durch die Einsicht, dass Niederfrohna ein von der Landwirtschaft geprägtes Dorf war und auch bleiben sollte, wurden wir eines der ersten Programmdörfer, das von Staatsminister Dr. Jähnichen bestätigt wurde.

Welche Resultate hatte dieses Engagement?

Mit Hilfe der speziellen Fördermittel konnten im privaten und im kommunalen Bereich viele Investitionen zur Erhaltung von Bausubstanz vorgenommen werden, die einem seither ins Auge fallen, wenn man durch unseren Ort fährt. Besonders der untere Ortsteil bietet dem Besucher das Bild einer ländlichen Idylle. Bereits im Jahre 1994 wurden wir als Kreissieger im Wettbewerb um das schönste Dorf ausgezeichnet.

In Niederfrohna erfolgte aber auch der Neubau von Eigenheimen?

Ja, der Gemeinderat hatte schon frühzeitig erkannt, dass ohne Gegensteuerung die Abwanderung junger Leute, unter der Niederfrohna bereits in der DDR zu leiden hatte, bedrohliche Formen annehmen werde. Deshalb entschloss sich der Gemeinderat bereits 1990/91 neue Wohngebiete zu erschließen. Durch den Bau der Wohngebiete ”Am Sonnenhang” und ”Am Rittergut” konnten wir die Fluktuation wenigstens erst einmal stoppen Heute ist Niederfrohna, gemeinsam mit St. Egidien, die einzige Gemeinde im Kreis die einen echten Bevölkerungszuwachs verzeichnen kann.
Gleichzeitig sanierten wir auch die wichtigsten öffentlichen Gebäude. Pfarrer Jung war zeitweise fast eine Art ?Bauleiter” bei der Sanierung der Christuskirche. Wir modernisierten die Schule, die Turnhalle Jahnburg und das Rathaus.

Wahrscheinlich mussten Sie den Ausbau der Infrastruktur erst einmal zurückstellen?

Nein, wir betrieben alles gleichzeitig. Unser Rathaus wurde zeitweise von den Bauproblemen beherrscht. Das Bauamt leistete eine unschätzbare Arbeit. Ohne die Einsatzbereitschaft und Flexibilität der Mitarbeiter, wir verlegten gerade in dieser Phase unsere Diensträume zeitweise in die Schule, wären diese Aufgaben überhaupt nicht realisierbar gewesen. Frühzeitig begannen wir mit der Erneuerung von Gas-, Wasser- und Stromleitungen. Die Mehrheit aller Bürger bekam in diesem Zuge endlich einen Telefonanschluss. Mittlerweile haben wir alle Ortsstraßen bis auf die Bergstraße und den Viehweg grundhaft erneuert. Die Kreisstraße, die sich auf etwa 7 km Länge durch unseren Ort zieht, ist etwa zu 2 km grundhaft erneuert und ausgebaut. Auf dem nächste Abschnitt der Kreisstraße läuft zur Zeit die Erneuerung von Gas- und Wasserleitungen. Mit dem grundhaften Ausbau ist in naher Zukunft zu rechnen.

Wie sieht es mit der Aktivität der Bürgerschaft in Niederfrohna aus?

Von 1990 an wollten wir dem Vereinsleben seinen Platz in der Gemeinde verschaffen. Das scheint auch geglückt zu sein. Über die Hälfte aller Niederfrohnaer ist in einem der Vereine organisiert. Einerseits sucht man Erholung und Entspannung, andererseits leisten die Vereinsmitglieder gemeinnützige Arbeit. Besondere Aufmerksamkeit wird den Kindern und Jugendlichen gewidmet. Die betreffenden Vereine leisten damit die eigentliche Sozialarbeit. Bei Nichtleistung solcher Arbeit müssen wir an anderer Stelle sehr viel Geld ausgeben, um dieses Defizit zu kompensieren.
Aber über die Vereinsarbeit hinaus engagieren sich viele Bürger in ehrenamtlicher Arbeit für die Gemeinde. Ohne dieses Engagement der Bürger in ihrer Lebenswelt kann eine Gemeinde überhaupt nicht existieren. Andererseits können Menschen nur dort Verantwortung wahrnehmen, wo sie in überschaubaren Verhältnissen etwas mit entscheiden können.

Zwischen Rathaus und Schule wird gerade ein Gebäudekomplex erneuert, was ist das?

Das wird unsere neue Kindertagesstätte. Ende diesen Jahres oder Anfang nächsten Jahres werden die jüngsten Bürger von Niederfrohna das Haus in Besitz nehmen.

Warum gehen Sie in einer Zeit der drastischen Einsparungen und Kürzungen an ein solches Projekt heran, birgt das nicht auch ein hohes Risiko?

Aus einer rein buchhalterischer Sicht ist es sicher ein Risiko. Die Probleme entstünden aber eher durch Untätigkeit. Wir haben selbstverständlich nicht zu viel Geld in der Gemeindekasse, eher zu wenig. Der Gemeinderat sprach sich jedoch einhellig für den Bau der neuen Kindertagesstätte aus, weil das die Zukunft unserer Gemeinde betrifft. Wir müssen den Kindern einfach ein Umfeld auf modernstem Niveau bieten, dazu kommt, dass der neue Komplex auch einen sehr schönen Garten hat. Er ist für die Eltern gut erreichbar, die Nähe zur Schule ist auch von Vorteil.

Was war für Sie die wichtigste Errungenschaft der politischen Wende von 1989/90?

Die Zerschlagung des impotenten DDR-Zentralismus und die Wiedererringung der vollen kommunalen Selbstverwaltung. Die Gemeinde hat am 6. Mai 1990 in freier Wahl den Gemeinderat gewählt und, nach dem Kommunalgesetz der DDR, aus der Mitte des Gemeinderates auch den Bürgermeister. Der damalige Gemeinderat, die Frauen und Männer der ersten Stunde, hat sich von Anfang an auf die Fahnen geschrieben, dass wir der kommunalen Selbstverwaltung dienen wollen. Gleichzeitig war die Wiedererringung der kommunalen Selbstverwaltung für viele Bürger überhaupt erst Möglichkeit und Anlass sich ehrenamtlich für die Gemeinde einzusetzen. Auch von der Obrigkeit wurden wir damals in unserem Weg bestärkt. Es gab nicht den Hauch eines Zweifels, dass eine Gemeinde mit einer nachweislichen urkundlichen Ersterwähnung aus dem Jahre 1236, das legitime Recht auf kommunale Selbstverwaltung besitzt.
Doch der rückkehrende Zentralismus deuten sich bereits mit der Art und Weise der Kreisreform an. Von dieser Reform liegt immer noch keine Bilanz vor, es ist immer noch nicht klar, ob sie überhaupt zu finanziellen Einsparungen führte, wie es angekündigt wurde, oder ob sie den Steuerzahler nicht vielleicht sogar finanziellen Mehrbelastungen brachte. Die sogenannte ”Gemeindegebietsreform” setzte dann einen Prozess in Gang, der ausschließlich die Basis, den souveränen Wähler betraf. Viele Kritiker bezweifelten den Effekt der Eingemeindung oder der Verwaltungsgemeinschaftszuordnung von Gemeinden mit mehr als 2000 Einwohnern unter den konkreten Bedingungen von Sachsen in den 1990er Jahren. Aber alle Diskussionen mit Landespolitikern aller Parteien nützten am Ende nichts. Es wurde ein Modell aus den alten Bundesländern aus der Zeit der 1960er/70er Jahre in Sachsen durchgesetzt.

Der Gesetzgeber begründete aber sein Gesetzespaket mit einer zu erwartenden Verbesserung der Lage der Gemeinden? Kann man mit etwas gutem Willen nicht eine Verbesserung der Lage erkennen?

Die zwangsweise Zuordnung in eine Verwaltungsgemeinschaft mit der Großen Kreisstadt Limbach-Oberfrohna hat bisher keine Verbesserung gebracht, eher eine größere Kompliziertheit und einen erhöhten Verwaltungsaufwand. Von größerer Bürgernähe kann keine Rede sein. Dazu kommen leider einige überflüssige Konfliktfelder mit der Stadtverwaltung. Man kann die Situation am ehesten mit einer ”zerrütteten Ehe” vergleichen.

Liegt das nur an der Stadtverwaltung von Limbach-Oberfrohna oder sehen Sie nicht auch grundsätzliche Probleme im Gesetzeswerk der Gemeindegebietsreform?

Die Stadt Limbach gestattete uns leider keinerlei Verhandlungsspielraum in der Installierung der Verwaltungsgemeinschaft. Aber das ist eher auf juristische Unkenntnis zurückzuführen. Ein Gesetz kann nie ”pur” umgesetzt werden. Es wurde ja gerade zur Anwendung auf verschiedene Situationen geschaffen. Die Stadt Burgstädt hat z.B. mit den Gemeinden Taura und Mühlau Vereinbarungen abgeschlossen, mit denen auch der kleinere Partner trotz allem noch leben kann.

Aber es gibt wirklich grundsätzliche Probleme des Gesetzes: es wurden Prinzipien aus einer vergangenen Zeit auf eine neue Situation ”kopiert”, so, als ob sich Geschichte ”wiederholen” würde. Bereits der Ausgangspunkt der westdeutschen Sicht, die Gleichsetzung der Situation der ostdeutschen Länder von 1990 mit der Bundesrepublik von l945 war falsch. Anfang der 1990er Jahre wurde dies durch einen allgemeinen Enthusiasmus verdeckt. Aber allein mit Enthusiasmus kommt man nicht weit. Die Realität hat uns inzwischen eingeholt. Die Wirkung der ”Leuchtturm-Großinvestitionen” läuft aus, die Höchstfördersätze werden auf EU-Randzonen verlagert, der sächsische Mittelstand wurde in den vergangenen 12 Jahren vernachlässigt. Der Bevölkerungsrückgang und die Abwanderung junger und besonders qualifizierter Bürger wird die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre eher weiter verschlechtern. In einer solchen Situation vollzieht der Gesetzgeber eine Zentralisierungswelle an der Basis. Aber Zentralismus hat noch nie zu Einsparungen geführt. Zudem ist Zentralismus immer mit einem Unentscheidbarkeits - Dilemma verbunden. Man kennt die konkreten Probleme in der Zentrale nicht, über die man entscheiden soll. Aus meiner Sicht also genau die falsche Richtung: Man muss auf die neuen Probleme mit Dezentralisierung reagieren. Wir müssen unsere Lebensvorstellungen in den nächsten Jahren verändern, die vorhandenen Mittel müssen sparsamer eingesetzt werden. Es muss stärker vor Ort entschieden werden können. Dazu ist gerade die Stärkung der kleinen Gemeinden und die Vollausstattung der Stadtteile mit eigenem Haushalt usw. notwendig.

War nicht aber die ganze Entwicklung seit 1871 von Zentralisierung geprägt?

Ja, eben, so war es in den letzten 130 Jahre. Aber die Lage hat sich verändert. Deshalb kann man gerade nicht mehr die alten Rezepte kopieren. Zudem haben wir mit einem einfachen PC-Netzwerk heute die Möglichkeit direkt mit der Landesregierung und der Bundesregierung zu kommunizieren. Das ist die technische Grundlage für die unumgängliche Dezentralisierung. Das ist doch das Geniale am Netzwerk-Gedanken.

Welche Perspektiven sehen Sie für die Gemeinde?

Unsere Gemeinde hat in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sie lebensfähig ist. Bei unseren 2600 Einwohnern haben wir mehr als 150 selbständige Gewerbetreibende, vom bäuerlichen Familienbetrieb, über den Handwerksbetrieb bis hin zur Software-Firma. Wirtschaftliche Stabilität erwächst in der Zukunft aus Vielfalt. Für den weiteren Ausbau der Infrastruktur brauchen wir kurze Wege und Flexibilität. Den notwendigen Handlungsspielraum werden wir einfordern. Zudem werden wir nicht nachlassen Landes- und Bundespolitiker nach Niederfrohna einzuladen, um sie mit den Folgen einer praxisfernen ”Reform”-Politik zu konfrontieren. Wir sind nüchtern, geben aber die Hoffnung auch nicht auf.